ERÖFFNUNGSREDE

Prof. Ches Themann 14.08.2015

Er besitzt Tugend?

Tugend.

Auch Verschwiegenheit?

Verschwiegenheit.

Ist wohltätig?

Wohltätig. Haltet Ihr ihn für würdig, so folget meinem Beispiel. (Hand heben).

 

Im Original ertönt an dieser Stelle das dreifache Signal.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte feierlich gestimmte Festversammlung:

nicht nur die Eingeweihten unter Ihnen werden erkannt haben, daß wir hier mitnichten von Tamino sprechen, sondern von Josef Krenmair. Und es gibt wahrhaftig keinen Würdigeren unter Sarastros Sonne als ihn. Wenn auch zugegebenerweise, diese kleine künstlerische Freiheit sei mir erlaubt, der Tamino nicht seine angestammte Rolle ist, sondern naturgemäß die des Papageno. Einige hier im Raum mögen im Übrigen vor kurzem seine berührend menschliche Interpretation dieses Lebenskünstlers persönlich erlebt haben.

Das mit der Verschwiegenheit wollen wir ihm DAHER gütig nachsehen. Sie werden im Verlauf des heutigen Abends reichhaltige Gelegenheit haben, eine Kostprobe von seinen entzückenden Plauderkünsten erleben zu können, die er in so reichem Maße zu verschenken hat.

 

Das 1. K wäre damit enträtselt.

Die Prüfung des 2. K haben Sie selbst bereits bestanden – Sie glauben es nicht?

Sie haben den Weg nach Kalköfen GEFUNDEN.

Ich selbst bin nämlich – und lieber Josi (ich weiß, er kann mich jetzt hören), das muß ich Dir nun endlich hier und jetzt und vor aller Öffentlichkeit gestehen – nicht EIN-, nein gleich MEHRmals bei meinen ersten Besuchen in allen nur erdenklichen Richtungen an dem Gehöft hin und her und vorbeigefahren, bis ich letztendlich dann doch das so sorgsam beschriebene kleine hölzerne Autobushaltestellenwartehäuschen entdeckte.

Nach der heutigen Vorstellung, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie verstehen, warum DAS den kommenden Generationen von Besuchern NICHT mehr passieren wird.

 

An dieser Stelle muß ich im Übrigen leider auch eine kleine Beanstandung an den Schildermaler anbringen: es fehlt ein K – nämlich das K für Köstlichkeiten (daß auch immer diese leidigen Pannen passieren müssen). Denn meiner bescheidenen Ansicht nach muß diese Theater richtig heißen:

K renmairs K alköfner K ammerbühne der K östlichkeiten.

Die Devise lautet bekanntlich allgemein "Aller guten Dinge sind 3". Aber 4 K sind doch besser als "ka K". Vielleicht läßt sich das ja noch bewerkstelligen, lieber Günter.

 

Das 5. K haben SIE, geschätztes Publikum, LEI-DER bereits verpaßt. Während der Proben war dieser Raum nämlich alles nur kein Theater, sondern ein willkommenes Kühlhaus.

Ihr zahlreiches Erscheinen jedoch (schallendes Gelächter an dieser Stelle) hat es nun in ein Heizhaus verwandelt – und auch die Scheinwerfer und Kostüme haben noch ihr Übriges dazu beigetragen.

Aber gegessen wird bekanntlich solange das Essen warm ist und die Herzen lodern.

 

Ich vermute, daß Sie nun vermutlich daraus schließen, daß Sie sich – trotzdem oder gerade deswegen – DOCH in einem normalen Theaterraum befinden. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen diesen Irrglauben aufzuzeigen und richtigzustellen.

Ich möchte Sie daher einladen, mich auf einer kleinen Runde durch die europäische Theatergeschichte zu begleiten, damit ich Ihnen die WIRKLICHEN Dimensionen dieses Ortes vor Augen führen kann. Dieser Raum ist nämlich bei Gott alles nur nicht normal.

Denn er besteht aus folgenden Zutaten:

 

1.)   Theater ist nicht Kunst, wie Sie vielleicht irrtümlich glauben könnten. Theater ist Natur.

An den Anfängen im antiken Griechenland lagen die Theater meist eingebettet in die Landschaft mit dem Meer als Hintergrund.

Zutat Nr. 1: Natur. – Haben wir. (Das mit dem Meer – da wollen wir mal ausnahmsweise nicht so sein).

 

In der Folge zogen die Schauspieler auf Karren von Ort zu Ort – von Griechenland ins Alte Rom, durchs Italien der Commedia dell'arte hinauf über die Alpen bis zu Deutschlands Karoline Neuberin. Bis ein Vorfahre von Josef Krenmair beschloß, sich eine Scheune mit eigener Hand als Theater umzubauen: er hieß Molière.

Zutat Nr. 2: eine Scheune. – Haben wir ebenfalls (danke an Günter, der sie eigenhändig erbaut hat).

 

Als Fußnote sei an dieser Stelle angemerkt, daß es ein weiterer Franzose war, ein gewisser Jacques Offenbach, der die Karriere der Operette ebenfalls auf einer klitzekleinen Bühne wie dieser begann.

Seit diesem Herrn Molière jedenfalls hat sich dann auch noch Zutat Nr. 3 dazugesellt:

Der Prinzipal schreibt, dichtet und spielt selbst.

In Österreich führten später 2 weitere Kollegen von Josef Krenmair diese Tradition fort: Nestroy und Raimund.

 

Als das Enterieur dieses Theaters bei meinen häufigen Besuchen vor meinen Augen immer deutlichere Gestalt annahm, spürte ich auch noch ein weiteres Element als Empfindung in mir aufsteigen: die Atmosphäre der kleinen heimeligen und kuriosen Theater der tiefsten und entferntesten russischen Provinz zum Ende des Zarenreichs. Nicht nur auf den Landgütern des Adels mitten in der Taiga wurde Theater gespielt. Damals fuhr auch die transsibirische Eisenbahn nur tagsüber und man nächtigte in den hölzernen Stationen. Um sich die Wartezeit zu vertreiben und zu verkürzen, bis die Dampflokomotive mit Wasser nachgefüllt war, wurde nicht nur gegessen und getrunken, sondern auch Literatur, Lyrik und kleine Szenen vorgetragen, geschart um einen lodernden Eisenofen.

Also - Bahnstation, Holzbänke, Plüschsofas und der Kanonenofen wären für mich daher die  weitere unabdingbare Zutat Nr. 4: Haben wir auch.

Neben Nestroy und Raimund, sowie auch Schnitzler und Hofmannsthal, sind daher für mich auch Tschechows Möwe und Gorkis Sommergäste unbedingte Bestandteile eines künftigen Repertoires.

 

Unser kleiner Ausflug endet wieder dort, wo er begann - nämlich bei einem weiteren Ahnvater von Josef Krenmair: Emmanuel Schikaneder.

Lassen Sie uns daher noch einmal hineinhören, wie der Dialog vom Beginn dann weitergeht:

Nach Sarastros Aufruf, Tamino zu den Prüfungen zuzulassen, gibt der Priester zu bedenken:

 

Allein – wird er auch die Prüfungen, so seiner warten, bestehen? Mir bangt es um den Jüngling. Wenn nun sein Geist ihn verließe und er dem harten Kampf unterläge? Er ist Prinz!

 

Und Sarastro antwortet:

Mehr noch – er ist Mensch! Dann wird er Osiris und Isis gegeben und wird der Götter Freuden früher fühlen als wir.

 

Nun – so weit ist es gottseidank nicht gekommen – auch wenn Sie ihn nicht sehen können, ich kann Ihnen glaubhaft versichern, er weilt heute munter und gesund unter uns. Doch es gab viele Menschen, die sich während der langen Jahre um ihn sorgten.

Ich möchte daher an dieser Stelle die üblicherweise am Beginn gebührende Begrüßung der Festgäste nachholen und allen seinen Freunden, der Familie, den Helfern und Unterstützern, sowie den zuständigen und verantwortlichen Vertretern aus Behörden und Politik herzlich danken, die unseren Josi gelabt, gestützt, getröstet, ihn aufgerichtet, ihm zugesprochen, ja sogar mit Hand angelegt haben.

 

Ich selbst hatte mehrmals in der Früh verschlafen aus dem Fenster gegenüber über den Hof geblickt und sah eine einsame Gestalt in grauer dicker Arbeitskluft über ihre Arbeit gebeugt sägen und hämmern, sei es bei Regen Sonne oder Schnee. Und ich dachte mir im Stillen – Teufel noch mal, der arbeitet schon wieder. Doch ich irrte: er werkte noch immer - und hatte die ganze Nacht durchgearbeitet.

Unvergeßlich wird mir auch ein Anruf so gegen halb 3 in der früh quer über hunderte von Kilometern bleiben, als er mir in einer verzweifelten Stunde in seiner unnachahmlichen Art einen improvisierten geungarlten Monolog in Operettenmanier – gepaart aus weinerlich melancholischem Weltschmerz und rotzfrechem Simmeringer Humor - lieferte. Er mag vielleicht später voll schlechten Gewissens gedacht haben, er habe mich womöglich als Trost- und Klagemauer mißbraucht, doch er ahnte wohl nicht, daß in Wahrheit ich selbst der Beschenkte war und es als Zeichen seines tiefen Vertrauens empfunden habe - und mir auf diese Weise diese Nacht eben für immer ein einzigartiges Erlebnis meines Lebens bleiben wird.

 

Ich weiß nicht, ob Josi auch SIE, die zu Begrüßenden und zu Bedankenden, nachts um halb 3 angerufen hat (wenn nicht, versichere ich Ihnen, Sie haben etwas versäumt und der heutige Abend ist nur ein schwacher Abklatsch seiner Kunst), aber jedenfalls ist es mir ein Bedürfnis, Ihre Verdienste um das Zustandekommen dieses Theaters zu würdigen: (Hier folgen die Begrüßungen und Danksagungen der Honoratioren und Sponsoren).

 

Dank auch an Sylvia, die Frau an seiner Seite. Ich versuche mir vorzustellen, welche Gedanken ihr jetzt gerade in diesem Augenblick durch den Kopf gehen mögen und welche Gefühle sich in ihr – da hinter dem Vorhang hinter mir – wohl abspielen.

Dann Günter, Beate und die Kinder – Michael, Verena und Sofia, die mit ihrer Lebhaftigkeit und guten Laune ihn in so manch trüber müder Stunde aufgeheitert und ihm Sonnenschein gebracht haben.

Und nicht zu vergessen das kleinste, aber deswegen keineswegs mindere Mitglied unseres Ensembles, Flecki, seines Zeichens Hauskater und Theatermaskottchen. Glyndebourne hat seine Schafe, wir haben einen Kater. JETZT schon.... Sie werden das stille Vergnügen haben, ihm dann draußen im Hof zu begegnen.

 

Einer Person, der es nicht gegeben ist, heute hier bei uns sein zu können, möchte ich noch gesondert gedenken: seiner Mutter.

Ich möchte Sie ersuchen, meine Damen und Herren, zusammen mit mir Ihre Gedanken für einige Augenblicke an sie zu schicken, damit auch sie in einem so wichtigen Moment im Leben ihres Sohnes hier bei uns und ihrem Josi sein kann.

Liebe Anna, die Unvoreingenommenheit und Offenheit, mit der Du mich in Deiner Wohnung empfangen und bewirtet hast, Deine schlichte Natürlichkeit im Gespräch, die eine sehr besondere Silvesternacht in Deiner Stube und die letzte Begegnung im Krankenhaus von Wels haben mich tief berührt und werden mich für immer begleiten. Ich spüre und bin überzeugt, daß Du heute hier unter uns bist und mit Stolz und berührter Anteilnahme und Freude auf Deinen Josef schaust.

Auf ebendiesen Josef, durch dessen Hände alles hier in diesem Raum gegangen ist - bis hinunter zum kleinsten Nagel. Ich kann Dir berichten, daß alle Menschen, die sich hier in diesem Raum versammelt haben, alles um sie herum mit großer Ehrfurcht achten, betrachten und bestaunen.

 

Nein, meine Damen und Herren, springen Sie jetzt bitte NICHT von Ihren Sesseln auf – diese stammen nämlich NICHT aus der Hand des Intendanten – sie sind bloß zugekauft. Aber schon beim Boden unter Ihren Füßen bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher.

Treten Sie also mit gebotener Vorsicht auf. Aber da habe ich sowieso keine allzugroße Sorge – das Auftreten ist von Geburt an eher seine Sache als die unsere. Er kann sie besser. Wenn auch – wie Sie heute sehen werden – sehr bescheiden als Diener. Aber nach seiner tiefsten Überzeugung besteht zwischen Theaterdirektor und Diener sowieso kein allzu großer Unterschied.

 

Denn sein wichtigster Wesenszug ist zugleich auch seine Botschaft an uns alle: nicht die Bildung ist das Ausschlaggebende, sondern die HERZENS-bildung.

In Zeiten der Bürgerkriege, Revolutionen, religiöser Konflikte und griechischer Finanzkrisen sind Kunst und Kultur das Wichtigste, was wir einander für ein friedliches Zusammenleben geben können. Ich meine daher im Sinne des gesamten Teams zu sprechen, wenn ich die Bitte an Sie richte: Tragen Sie dieses Anliegen und diese Botschaft dieses Hauses und seiner Schöpfer in die Welt hinaus, wenn Sie heute die Vorstellung wieder verlassen.

 

Meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen nur die Vorspeise zu servieren. Nun kann ich die Dienerschaft rufen, die Hauptspeise aufzutragen.

Die NACH-speise werden Sie sich selbst bereiten – mit Ihren Gedanken und Gefühlen bei Speis und Trank und den Gesprächen mit Ihren Nachbarn im Hof unter dem nächtlichen Sternenzelt.

 

Lieber Josi, liebe Sylvia, liebe Reischl-family, so bleibt mir zum Schluß nur, Euch viel Glück, Erfolg und Freude mit Eurem erlesenen Kleinod (verflixt - schon wieder ein weiteres K....), und uns allen viele erbauliche und besinnliche Stunden in Eurem Theater zu wünschen. Ad multos annos.

 

Der Tisch ist gedeckt, das Mahl ist gerichtet, Platz genommen haben Sie bereits.

Eine allerletzte Bitte hätte ich da noch an Sie: wenn Sie Ihre Handys nicht nur leise stellen, sondern ganz ausschalten – Sie helfen uns zu Ihrem eigenen Wohle, Rückkoppelungen bei unserer Lautsprecheranlage zu vermeiden (wie Sie einige bereits während meiner Ansprache hören konnten).

 

In so etwa geschätzten 10 ? – 50 ? Jahren (mit prüfendem Blick in die anwesenden Gesichter) werden Sie Ihren Enkeln mit Stolz erzählen können:

 

An diesem denkwürdigen Abend, da war ich damals selbst dabei.

Drum sag' ich nun für Sie die langersehnten Worte: BÜHNE FREI !!